Architekten können von Fans lernen und somit Mythen schaffen
“Und wenn ich von einer Reise zurückkehrte und die Flutlichtmasten des Parkstadions erblickte,
wusste ich, ich bin zu Hause und alles ist in Ordnung!”
User Gelsenkirchen, 1.Juli 2011 – 17:10 (11Freunde.de-Forum)
Dieses Zitat stammt aus einer Diskussion die ich 2011 im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit <<hier>> geführt habe. Es verdeutlicht eigentlich bereits auf den ersten Blick, was ich mit diesem Artikel erzählen möchte. Häufig wird in Architekturkreisen darüber diskutiert, dass man die breite Masse nicht für Design und Architektur begeistern kann und wie man das Bewusstsein für Qualität und Gestaltung in der Bevölkerung wiederbeleben kann. Nur mit welchen Themen bekommt man einen Architekturdiskurs mit einer breitgefächerten Öffentlichkeit zustande. Und hierzu habe ich persönlich eine, vielleicht ganz exklusive Meinung: Die wohl breiteste Öffentlichkeit erwischt man “da wo maßgebend ist: nämlich auffen Platz!” (Zitat Frank Goosen, “Echtes Leder”). Quer durch alle Gesellschafts- und Bildungsschichten gehen die Menschen Samstag für Samstag ihrem Lieblingshobby nach: dem Fußball! Und alle pilgern Sie dabei in die vielen verschiedenen Sportstätten des Landes. Jeder von Ihnen hat dabei seine ganz eigene Ansicht zur Architektur von Fußballstadien. Dies führt mitunter zu spannenden und tief emotionalen Architekturdiskussionen von deren Ergebnissen die Planer der Stadien und Arenen wirklich hilfreiche Erkenntnisse ziehen können.
“Ich ging die Betonstufen runter und dachte sofort “das ist mein Beton”!”
User MarcRamone, 6. Juli 2011 – 14:52 (11Freunde.de-Forum)
Die Architektur von Sportstadien wird unter Architekten häufig kontrovers diskutiert. Da werden die Vogelnester, Schlauchboote und Shopping-Mall-Arenen von den “Kollegen” für ihre Gestaltung und Pissrinnen für ihr Baudetail bisweilen bösartigst kritisiert. Häufig sind die Planer selbst dabei nicht einmal ansatzweise für den Sport mit dem runden Leder zu begeistern. Da werden Schüsseln mit drei Rängen wie in der Metropolitan Opera hochgezogen, bei denen sich am Ende aber viele Stadiongänger über eines einig sind: Hier kann so ja gar keine Stimmung aufkommen, wenn der emotionale Schmelztegel, das Herz eines Fußballverein, nämlich deren Fans durch verschiedene Geschosse von einander getrennt werden.
In meinen diversen Diskussionen und Gesprächen als Architekt mit den sogenannten “Laien” und auch aus der eigenen Erfahrung als Fußballfan heraus ist mir über die letzten 10 Jahre hinweg eines klar geworden: Bei der Bewertung von Sportimmobilien der Gattung “Stadion” gibt es einen anderen Ansatz, einen anderen Schwerpunkt den es bei der Planung der selben zu beachten gilt. Eine emotionale Nähe und Begeisterungsfähigkeit für Sport im allgemeinen ist dabei mit Sicherheit von großem Vorteil für die planende Zunft, der auch ich knapp zehn Jahre lang angehört habe.
Stadionarchitekturen lösen bei den Besuchern, die Woche für Woche in die deutschen Stadien pilgern ganz besondere Gefühle aus. Dabei zählt es nicht, ob das Stadion besonders schnittig oder edel entworfen wurde oder besonders pfiffig in den städtebaulichen Kontext eingebunden wurde. Dem hardcore Architekten ohne Fußballaffinität mag dies weh tun. Aber hier zählen Nostalgie, Kindheitserinnerungen und Stolz auf das Stadion des eigenen Vereins. Architektonische Qualität ist nicht zu vernachlässigen, aber bei diesem Bautypus wohl eher zweitrangig für dessen Erfolg. Ein Opern- oder Philharmoniegebäude wird auch nur dann als architektonisch gelungen diskutiert werden, wenn die Abläufe reibungslos funktionieren und durch eine ausgefeilte Akustik das Musikerlebnis unvergesslich ist. Und genau deshalb muss man die Stadionarchitektur auch etwas differenzierter betrachten. Ein alter, abgeranzter Kasten der kurz vor dem Zusammenfall steht und an allen Ecken und Enden geflickt und gestopselt wurde hat häufig mehr Seele, mehr Pathos als ein besonders gut entworfener Neubau mit ausgeklügelter Fassade oder Dachkonstruktion. Hier zählen Kriterien wie “Emotion”, “Tradition” und “Identifikation” mehr als besonders schön gelöste oder knifflige Details.
Beispiel: Die ganze Welt blickt neidisch nach Dortmund. Genauer gesagt ins Westfalenstadion, oder wie es nun heißt den Signal-Iduna-Park. Dort steht die gelbe Wand. Ein Synonym für gelungene Stadionarchitektur. Eine Stehplatztribüne mit einer Kapazität von knapp 25.000 Zuschauern, die an den Spieltagen zu einer Einheit werden und ein unvergessliches Stadionerlebnis liefern. Das Stadion selbst? Kein architektonisches Meisterwerk. In meinen Augen sogar fürchterlich misslungen. Aus gestalterischer Sicht. Aber dennoch: steht oder sitzt man einmal drin und erlebt diese Stimmung muss man gestehen: Das ganze ist baulich und stimmungstechnisch so hervorragend gemacht, dass man die äußere architektonische Qualität fast vollständig vergisst oder sogar als “greislich” schön idealisiert.
Nun möchte ich allerdings hier nicht die Architektur der neuen Stadien und Arenen verurteilen. Ganz im Gegenteil. Ich bin ein ganz großer Fan und Verfechter von Stadionneubauten. Gerade weil es so ein spannender, emotionaler und bewegender Bautypus ist. Nur spreche ich manchen Architekten das Einfühlvermögen bzw. die Fähigkeit ab partizipative Architektur, also mehr Fanbeteiligung im Vorfeld zuzulassen. Viel zu häufig erhalten neue Arenen sogar ein fast austauschbares Inneres. Bauträgerarchitektur in der Bundesliga? “Identifkation” und “Tradition” fällt da auf jeden Fall deutlich schwerer. Ich möchte nicht sagen, dass es unmöglich ist, aber: Habe ich als Kind am Samstag Abend die Sportschau eingeschaltet, so wusste ich innerhalb nur weniger Millisekunden ob da gerade eine Zusammenfassung des Spiels vom Bökelberg in Mönchengladbach, aus dem Parkstadion in Gelsenkirchen, dem Olympiastadion in München oder der Grotenburg Kampfbahn in Krefeld-Uerdingen läuft.
Heute dauert diese “Lokalisierung” mitunter mehrere Sekunden, wenn sie denn überhaupt noch gelingt. Im Vorfeld der Planung sollten die Verantwortlichen sich mit dem Ort, der Stadt und den Clubs auseinandersetzen für den Sie ein Stadion planen. Denn auch hier, wie beim Einfamilienhaus oder dem repräsentativen Firmenneubau plant der Architekt eben immer noch für den Menschen! Und gerade die Nutzer der Stadien, ob sie nun “Ultras” oder “Fußballfan” heissen, wissen sehr wohl ganz genau wie sie sich dem Thema der Stadionarchitektur zu nähern haben. Die Architekten können davon nur profitieren!
“Architekten sehen imho zu viele Dinge von schräg oben
und vergessen dabei allzuhäufig, wie es sich anfühlt, von schräg unten.”
User AntiMöller, 21. Juni 2011 – 17:45 (11Freunde.de-Forum)
In zahlreichen Diskussionen für meine wissenschaftliche Arbeit habe ich immer wieder festgestellt, dass ich als Architekt sehr wohl starke Standpunkte und grandiose Vorschläge von Zuschauern zurückbekomme, wie “Emotion”, “Tradition” und “Identifkation” in einem Stadion entstehen können. Da werden Betonqualitäten besprochen, Flutlichtmasten als Gestaltungs- und Identifikationselement gesehen und die neuen “seelenlosen Kisten” mit den “altehrwürdigen Stadien” verglichen. Den meisten von ihnen ist allerdings in diesem Moment überhaupt nicht bewusst, dass sie gerade über Architektur diskutieren. Sie haben aber völlig ernstzunehmende Argumente parat wie ein Stadion geplant werden sollte damit neben der zwingend notwendigen baulichen und architektonischen eben auch emotionale Qualität in die Stadien zurückkehrt.
Architekten die die durchaus beneidenswerte Aufgabe erhalten eine Sportstätte einer gewissen Größe zu entwerfen, sollten sich im Vorfeld mit gewissen Themen auseinandersetzen. Am Ende sind es die vielbeschworenen Klassiker wie “Zuschauer besonders nah am Spielfeld”, “steile Tribünen” und “gute Akustik” die dazu beitragen, dass Stimmung also “Emotion” entsteht. Den letztendlichen Erfolg eines Stadions hat der Architekt dabei aber nicht allein in der Hand. Er kann die Bühne für das schaffen, was es am Ende werden soll: ein emotionales Zuhause für die Fans eines Clubs. Zum Mythos mit ordentlicher “Tradition” müssen es die 11 Männer auf dem Platz machen, die über die Jahre hinweg das Bauwerk mit der “Identifikation” und den Gefühlen der Fans verweben. Eine wirklich schöne Aufgabe, die aber nur funktioniert, wenn der Diskurs mit den künftigen Nutzern im Vorfeld der Planung geführt und angenommen wird.
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