Vor knapp zehn Jahren habe ich mich im Rahmen einer wissenschaftlichen Arbeit an der Hochschule in Bochum mit der „Stadionarchitektur als Mittel zur Architekturvermittlung“ befasst. Ziel der Arbeit war es zu beweisen, dass man eine qualitativ hochwertige Architekturdiskussion in der breiten Gesellschaft anstoßen kann indem man sich der Architektur von Sportstätten annimmt. Und noch genauer, der Architektur von Fußballstadien. Denn nirgends ist die Gesellschaft Wochenende für Wochenende so vielschichtig vertreten wie in Deutschlands Fußballstadien. In Gesprächen und Forumsdiskussionen mit den verschiedensten Anspruchsgruppen beim Thema „Fußballstadion“ habe damals ich vor allem eines herausgefunden: Ein nicht zu vernachlässigender Punkt bei der Planung neuer Projekte des Bautypus „Stadion“ ist die Akzeptanz in der Bevölkerung und die Entwicklung einer emotionalen Bindung der neuen Architektur mit dem eigentlichen Nutzer der Bauwerke, dem Stadionbesucher. Seit 2015 habe ich mich gemeinsam mit der „Projektgruppe Turm“ beim deutschen Zweitligisten SSV Jahn Regensburg exakt mit dieser Thematik beschäftigt und ein Konzept für die Errichtung eines wirklichen Identifikationsmerkmales erarbeitet. Seitdem sehe ich meine vor knapp zehn Jahren aufgestellte These nicht nur bestätigt sondern sogar wichtiger an als zuvor angenommen. Ratschläge an Architekten, die sich mit dem Bau von Sportstätten auseinandersetzen:
Im Gegensatz zu den meisten anderen Bautypen sollte der des Stadions (oder der Sportstätte im Allgemeinen) von Architekten durch eine etwas andere Herangehensweise bearbeitet werden. Museen, Theater oder repräsentative Corporate Architecture werden im Auftrag eines einzelnen Bauherren bzw. dessen Vertretern geplant. Und auch für Sie gelten spezielle „Regeln“ in der Herangehensweise im Entwurf. Im Fall des Stadions haben Sie es natürlich auch mit einem Bauherren zu tun. Jedoch werden Architekten es gerade bei einer solch emotionalen Geschichte wie dem Sport immer mit deutlich mehreren Anspruchsgruppen und einer massiv heterogenen „Bauherrenschaft“ zu tun haben. Ein Fakt, den die meisten allerdings übersehen und vernachlässigen. In meiner Arbeit habe ich mich vor zehn Jahren in diversen Diskussionen über die architektonische Qualität neuer Stadien und Arenen welche seit den späten 1990er Jahren enstanden ausgetauscht, charkteristische Merkmale festgestellt und Maßnahmen entwickelt, die die subjektive Qualität und die Akzeptanz bei der Zielgruppe der fußballbegeisterten Bevölkerung nachhaltig steigern und für die Architektenschaft als wahre PR-Raketen wirken können.
„Englische Merkmale“ sind erwünscht.
Die meist genannten Merkmale, die bei der Planung von Stadien und Arenen berücksichtigt werden sollten um emotionale Bauten entstehen zu lassen, sind die viel zitierten Klassiker. Häufig sind diese aber mit der vorhandenen bzw. geforderten Infrastruktur nicht zu vereinbaren. Eine unmittelbare Nähe der Zuschauer zum Spielfeld und eine möglichst ausgereizte steile Neigung der Tribünen zum Beispiel. Letzteres steht dem oft geforderten Kriterium der Erweiterbarkeit von Stadien entgegen, weshalb Architekten diese Punkte häufig nicht umsetzen können. Atmosphäre und Stimmung im Stadion bzw. bei den Fans können vom Architekten aber mittels einer sensiblen Planung unterstützt werden, indem der Haupt-Zuschauerrang (häufig eine Stehplatz-Tribüne an einer der kurzen Seiten des Stadions) als strenge Einheit verstanden wird. Also nicht in einen Unter- und einen oder mehrere Oberränge unterteilt werden. Um sogenannte Choreographien, also die gemeinschaftlich erzeugten und visuell mächtigen Darstellungen der Fans auf den Tribünen, die zur Entwicklung von Atmosphäre beitragen zu erleichtern, ist es notwendig möglichst große und zusammenhängende Tribünenflächen zu schaffen. Ein weiterer viel diskutierter und auch positiv bewerteter Punkt in der Entwicklung der Stadionarchitektur ist der Wegfall der Laufbahn, durch die Errichtung reiner Fußballarenen. Darüber hinaus ist es fast in jedem ausführlicheren Gespräch erwähnt worden, dass die Stadien heutzutage immer mehr „amerikanischen Shopping-Malls“ oder seelenlosen Baumärkten ähneln. Die äußere Form einer Arena sollte demnach wohl noch deutlich erkennbar die eines Fußballstadions sein und klar mit dem entsprechenden Verein assoziierbar sein.
Von wegen „kein Gespür für Architektur“. Gute Hinweise an die Architektenschaft.
Starke Architekturstatements wie „Form should follow function. Not the other way around!“ habe ich in meiner Recherche ebenso häufig gehört wie die Aussage, dass z.B. die Dachkonstruktionen bzw. die äußere Hülle bei Neubauprojekten besonders wichtig seien. Diesbezüglich wurden die Entwürfe für die Europameisterschaft 2008 und die Weltmeisterschaft 2010 besonders gelobt. In den Augen der Fußballfans ist es notwendig, dass bei der Stadionplanung darauf Wert gelegt wird, dass keine sich ständig wiederholenden architektonischen Themen aufgegriffen werden. Die Stadien der Vereine sollten über eine eigene, „individuelle Note mit unverwechselbaren Details ohne dabei aber gekünstelt zu wirken!“ verfügen. Ein Merkmal, durch welches ein Stadion nach Meinung der von mir befragten Fans ebenfalls eine hohe Architekturqualität aufweist, ist ein homogener Baukörper der durch klare, durchgängige Linien ein stimmiges Ganzes erzeugt. Einzeln stehende Tribünen und nach und nach erweiterte Stadien werden zwar häufig als stimmungsvoll und charmant angesehen, jedoch erweckt eine homogene Architektur in der Bevölkerung eine zufriedenere Grundhaltung gegenüber der neuen Stadionarchitektur.
Die dringende Befriedigung des Nostalgie-Bedürfnisses.
Und nun der Punkt überhaupt, wenn es um die Architektur von Fußballstadien geht: Das Nostalgie-Bedürfnis. Was für Architekten zugegebener Maßen erstmal lächerlich und wenig schmeichelhaft klingt, darf in diesem Fall auf Grund der Bedürfnisse des späteren Nutzers nicht durch den egozentrischen Irrtum der Architekten missachtet werden. Städtebauliche und architektonische Aspekte, die in den kommenden Jahren immer mehr aus der Stadionlandschaft verschwinden, fallen unter den Gesichtspunkt der Nostalgie. Zu diesen Elementen zählen beispielsweise die weithin sichtbaren und Atmosphäre stiftenden Flutlichtmasten, wie sie in den Stadionbauten des 20. Jahrhunderts gebaut wurden. Diese waren zum Beispiel unverkennbare Markenzeichen der alten Stadien in Rostock, Gelsenkirchen und Offenbach. Bei den neuen Stadien und Arenen, die ja zumeist voll überdacht sind, werden die Beleuchtungsanlagen der Arenen an der Dachkante stark verteilt installiert. Das Element des Flutlichtmasten wird in den kommenden Jahren mehr und mehr verschwinden, da ein Vorteil der neuen Anlagen die nur noch geringe Schattenbildung auf den Spielfeldern ist. Zudem werden bei den Fußballfans Stadien als qualitativ höher eingestuft wenn sie in einer besiedelten und gewachsenen Struktur aufzufinden sind. Beispiele hierfür sind das Niedersachsen-Stadion in Hannover, das alte Jahnstadion in Regensburg oder das Grünwalder Stadion in München. Die Entwicklung der neuen Arenen auf unerschlossenen Stadtrandgebieten wird kritisch beurteilt. Auch dieser Punkt kann aus wirtschaftlichen Gründen aber auch auf Grund der von den Verbänden geforderten Infrastruktur in Zukunft jedoch nicht mehr, oder nur noch schwerlich anders gelöst werden. Und ja städtische Strukturen wachsen. Und irgendwann werden auch die neu gebauten Stadien wieder „in“ oder „nahe“ einer „besiedelten“ Gegend stehen. Fair enough!
Um aber dem offenbar vorhandenen nostalgischen Grundbedürfnis von Fußballfans zu entsprechen, sind Maßnahmen wie die Integration von Bestandteilen der bisherigen und oft favorisierten alten Spielstätten in die neuen Projekte ein besonders guter Weg die Identifikation mit einem Stadion bereits vom ersten Tag an zu fördern. Hierfür gibt es bereits realisierte Beispiele, wie zum Beispiel die symbolische Integration der charakteristischen Stadionuhr des alten Highbury Park in London in das Emirates Stadium oder der vollständige Stadionneubau in Leipzig (wenn auch die Nostalgie des dort spielen Clubs eher fragwürdiger Natur ist), welcher sogar in das vorhandene und sehr traditionsreiche „Stadion der Hunderttausend“ integriert und buchstäblich direkt hineingebaut wurde (beim Betreten der Arena in Leipzig gelangt man über Stege, die über die alte Tribüne gebaut wurden in das neue Stadion).
Auch das Jahn Turm Projekt in Regensburg, an welchem ich seit 2015 aktiv beteiligt bin und die Konzeption beigesteuert habe ist ein Beitrag zur „Akzeptanzsteigerung“ und der Identifikation mit der neuen Arena in Regensburg. Die durchweg positiven Rückmeldungen in Diskussionen und Gesprächen mit den verschiedensten Anspruchsgruppen, von Ultra-Gruppierung bis Business-Besucher, von Event-Fan bis fußballinteressiertem Familienvater bestärken hier meine Annahme: Gute Architektur gepaart mit Identifikation stiftenden Merkmalen schaffen eine emotionale Bindung mit dem neu auf der grünen Wiese gebauten.
Die Kritik an den Architekten.
In der Kritik der Bevölkerung stehen im Bezug auf Stadionneubauten häufig, oder gar meistens deren Architekten. Die Entwürfe der Planer sollten dem zu Folge mehr aus der Besuchersicht heraus entstehen, als weniger aus einem Streben nach einem städtebaulichen Highlight. In einer lange geführten Diskussion im 11-Freunde-Forum schilderte ein User diese Problematik wie folgt: „Architekten sehen […] zu viele Dinge von schräg oben und vergessen dabei allzu häufig wie es sich anfühlt von schräg unten.“ Ein starkes Statement von einem Fan. Keineswegs von einem Architekten oder einem Architekturkritiker. Um das bestmögliche Erlebnis in Stadien und Arenen liefern zu können, sahen meine Diskussionsteilnehmer stets die Architekten in der Pflicht. Diese sollen die aktuellen Strömungen in der Fankultur erkennen und die lokale Mentalität in ihre Entwürfe einfließen lassen. Vergleicht man die architektonischen Merkmale bereits realisierter Stadien und Arenen mit den Diskussionsinhalten der Besucher, so muss festgestellt werden, dass die Entwicklung der Stadionarchitektur in der Bevölkerung äußerst kritisch gesehen wird. Die neue Stadionlandschaft in der Bundesrepublik wirkt auf viele Diskussionsteilnehmer austauschbar und charakterlos. Dabei beschränken sich die meisten Aussagen auf die sich immer stärker ähnelnden Innenräume der Bauwerke, da sie es den Fußballfans schwer machen eine Identifikation mit dem eigenen, neuen Stadion aufzubauen. Kein Wunder, wenn viele Fans ihr Stadion häufig als „zweites Wohnzimmer“ bezeichnen. Der Fan und seine Bedürfnisse möchte erkannt und vor allem ernst genommen werden.
Identifikation und Emotion. Langsam entstehender, emotionaler Bindung vorgreifen.
Neue Stadien haben es also so gut wie immer schwer wirklich alle Besucher und Fans in ihren Bann zu ziehen. Kein Wunder: Mit den alten Stadien verbinden diese Gefühle wie den ersten Stadionbesuch mit dem Opa oder Erinnerungen an Erfolge und Misserfolge des eigenen Vereins. Ein emotionales Band, welches so schnell kein Architekt mit einem modernen und formal bis ins kleinste Detail durchgeplanten Neubau durchtrennen kann. Erinnerungen an schöne Erlebnisse halten die Bindung zu einem Stadion hoch. Diese Erinnerungen fehlen in Stadionneubauten vollständig und werden erst über Jahre bzw. Jahrzehnte beim Besucher angehäuft. So können und sollten die Architekten von solch spannenden Sportstätten dringend Zeichen der Identifikation (z.B. Elemente aus den bisherigen Spielstätten) wirkungsvoll in neue Stadien bzw. Sportstätten und deren Konzepte integrieren, ohne dabei künstlich oder gar kitschig zu wirken. Das ist die Möglichkeit der Architekten! Um den Sportstätten im kleineren Maßstab, also Abseits der großen europäischen Arenen, Atmosphäre und Charakter zu verleihen ist es wichtig, dass künftig auch modular von Bauträgern erstellte Stadien eindeutig mit dem Verein identifizierbar und keine Stadien aus der Retorte darstellen.
Nach meinen Erfahrungen in der Sportarchitektur ein absoluter Gewinn für alle: Architekten, Vereine und Besucher. Denken Sie mal drüber nach. Sport und Architektur. Eine emotionale Verbindung!