Unverhoffte Bekanntschaft mit der Schleppjagd
Also stieg ich ins Auto und lies das berufliche hinter mir. Ich verliess das Parkhaus Nummer 7 am Münchner Flughafen und fuhr zum Familienwochenende nach Prien am Chiemsee. Ein netter, feuchtfröhlicher Abend stand mir, meinen vier Geschwistern und meiner Mutter bevor. Kein Problem so weit: Für Samstag war ausser der Schifffahrt auf die Inseln im See sowieso nichts geplant. Kein großes Programm. Einfach gemütlich miteinander den Tag verbringen. So wie früher. Wie wir als Kinder mit unseren Eltern in jeder freien Minute sozusagen am Chiemsee verbrachten.
Um 11:15 bestiegen wir das Schiff “Rudolf” in Richtung Herreninsel. Eigentlich alles so wie immer. Auf der Insel angekommen gingen wir hinauf zur Kirche St. Maria, einer fast 900 Jahre alten Filialkirche. Von weitem hörten wir einen Trompeter oder ähnliches. Allerdings klang das alles ganz schön schief was der spielte und so dachten wir zunächst: “Da übt wohl einer. Klingt aber sehr lustig was der da trötet!” Oben auf dem Hügel angekommen bot uns ein seltenes Bild: Eine Gruppe Jagdhornbläser, die in der Senke gemeinsam auf die Formeln des einsamen Trompeters auf dem Hügel antworteten. Eine Hochzeit oder doch was anderes? Irgendwie wirkte das ganze wie in einer dieser schlechten Rosamunde-Pilcher-Produktionen, die Sonntags im ZDF laufen.
Kurz darauf wird die Szenerie noch unwirklicher. Von links aus dem Wald galoppieren zwei Reiter. Einmal quer über das von uns einzusehende Feld. Ein seltsamer, aber wunderschöner Anblick. Sollte uns das allerdings schon gewundert haben, wurden wir nur zwei Minuten später endgültig vom Interesse übermannt. 30 Hunde fetzten sozusagen den beiden Reitern hinterher. Gefolgt von 70 weiteren Pferden samt Reiter. Der Boden bebte und der Galopp der Pferde hinterliess eine beeindruckende Geräuschkulisse. Nun mussten wir uns allerdings wirklich erkundigen was da eigentlich abgehalten wurde. Wir befragten den einzelnen Jagdhornbläser nach dem uns gebotenen Schauspiel. Sehr freundlich und zuvorkommend wurde uns – mit einem gewissen Stolz gepaart – erklärt, dass es sich hierbei um die “bayerische Staatsjagd” handelt. Eine Schleppjagd unter der Schirmherrschaft des bayerischen Ministerpräsidenten. Nun mussten wir erst einmal erfahren was eine Schleppjagd denn genau ist und wie das ganze von statten geht. Hierfür wurde uns geraten einen weiteren “Checkpoint” (so nenne ich das jetzt einfach mal) anzuwandern um das ganze Schauspiel weiter zu verfolgen. Gesagt getan!
Beim zweiten Punkt, der auf der anderen Seite des Augustiner Chorherrenstifts gelegen von oberhalb der Wiese wunderbar einsehbar ist, wurde uns dann einiges mehr klar. Wieder kamen zuerst die beiden Vorreiter. Dann die Hunde, und dann die 70 Berittenen. Und wieder: Jagdhornbläser und eine Stimmung wie in einem edlen britischen Film. Kein bisschen elitär oder sonst irgendwas. Ganz bodenständig und freundlich. Jeder der circa 100 Zuschauer gab freundlich und mit diesem gewissen Stolz Antwort auf die Fragen die sich uns unweigerlich stellten.
So konnten wir schnell erkennen, dass eine Schleppjagd wie folgt abläuft: Zwei Vorreiter “schleppen” die sogenannte Fährte. Eine Heringslake, die aus einem Schlauch am Sattel der Pferde tropft. Diese Fährte wiederum nehmen die Hunde auf und laufen ihr wie wild hinterher, wenn sie von den Meutenpikören losgelassen werden. Die Meutenpiköre, dass ist der Teil der Equipage (die gesamte Jagdbegleitung wird in Meuten- und Feldpiköre unterteil), der mit den sogenannten Hetzpeitschen die Meute von ca. 30 Hunden unter Kontrolle hält. Der Rest der Equipage, das sind Spring- und Nichtspringreiter. Die einen springen wie in diversen Mantel- und Degenfilmen über die dicken Baustämme, bei denen nicht selten auch Abwürfe geschehen. Die anderen galoppieren eindrucksvoll im Feld mit. Im Prinzip wird hier gar nicht gejagt. Nein. Es ist vielmehr die Bewahrung einer Tradition und eine Inszenierung von dem was da früher wirklich als Jagd von statten ging. Und vor allem wirklich ganz großer Sport. Und das sage ich, der mit Pferdesport, Hunden und Burberry-Jacken etc. nicht das geringste am Hut hat.
Wir haben das Prinzip verstanden und tatsächlich waren wir alle sofort in den Bann gezogen. So entschieden wir uns den Tag nicht mit dem Besuch beider Inseln zu verbringen, sondern uns voll und ganz dieser Schleppjagd zu widmen. Nach einem kleinen Mittagsschmaus zogen wir los zum Schloss. Dort wurde uns das imposante große Halali versprochen. Gerade noch rechtzeitig kamen wir auf der Rückseite von Schloss Herrenchiemsee an und erlebten einen sehr ehrwürdigen Augenblick. Zum großen Finale galoppieren die Reiter gemeinsam mit den Hunden stolz und erhaben die Schneise zwischen Schloss und See hinauf. Ein bisschen bleibt einem bei diesem Anblick tatsächlich die Luft weg. Dann wird der Abschluss der Jagd “gefeiert” und zum Schluss bekommt die Hundemeute ihren “Fang”. Ein Pansen, den die Jagdhunde vollkommen diszipliniert und kontrolliert zerreissen und restlos aufessen.
Was soll man nach so einem Erlebnis noch sagen. Eine Schleppjagd. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass mir dieses Schauspiel so gefällt. Es hat mir nicht nur gefallen, nein, es hat mich an diesem Samstag Nachmittag im Oktober 2017 sogar vollkommen in den Bann gezogen. Ein wirklich tolles und einmaliges Erlebnis. Ich persönlich werde mir das sicherlich noch einmal anschauen. Und wenn ich so in meinem ganz persönlichen Film-Modus denke, so finde ich den harten Schnitt als Stilmittel wunderschön. Morgens um 11 Uhr noch: “Was trötet denn da für ein unmusikalischer Mensch herum” [HARTER SCHNITT – 5 Stunden später] “Wunderbar diese Equipage! Horridoh!!!”. Innerhalb der kurzen 5 Stunden waren wir von sämtlichen Personen rund um diese Schleppjagd mitgenommen, gut informiert und freundlichst “betreut” worden. Wir wissen nun wirklich sehr vieles darüber und können uns, in unseren Augen, schon sehr fachkundig darüber unterhalten. Ein wirklich tolles Schauspiel.
Horridoh!
Zum Thema Herrenchiemsee sehen sie auch den Film: “Zwischen Zwei Inseln” in der Film-Mediathek.